Ich liebe Mode und kaufe zu viel davon. Doch im Januar las ich einen Newsletter darüber, wie die Modeindustrie klimafreundlich werden und das 1,5 °C Ziel einhalten kann: Das Hauptproblem ist Überproduktion – unter 1,5 °C bleibt die Industrie nur, wenn sie pro Jahr maximal fünf neue Kleidungsstücke
pro Person verkauft.Wie viele habt ihr im letzten Jahr gekauft? Ich mindestens 30. Einige „brauchte“ ich „wirklich,“ wie einen neuen Regenmantel, ein Hochzeitsgast-Outfit oder gefütterte Winterstiefel. Den dritten und vierten Kaschmirschal dagegen absolut nicht. Doch dieser Bericht wurde nach einer kurzen Verzweiflungsattacke zur Befreiung: endlich eine klare Grenze, um „zu viel“ von „in Ordnung“ zu trennen – ein neues Kleidungsstück ca. alle 2,5 Monate. Lachhaft wenig und trotzdem beschloss ich, 2023 nur fünf neue Kleidungsstücke zu kaufen (wir sprechen uns an Weihnachten.)
Natürlich können wir die Klimakrise nicht als Konsument*innen abwenden. Faire Mode und Second Hand Kleidung sind ein kleiner Schritt, aber keine Lösung. Stattdessen müssen wir den Kapitalismus dafür kritisieren, dass er uns zum Kauf zwingt, weil wir präsentabel aussehen müssen, um Jobs zu bekommen oder zu behalten. Schon 1954 wies die amerikanische Kommunistin Evelyn Reed darauf hin, dass es einen Unterschied macht, ob wir andere dafür kritisieren, dass sie Spaß an Mode haben, oder ob wir den Kapitalismus für diesen Kaufzwang kritisieren: Ersteres sorgt für schlechte Laune, während Letzteres die Welt verändern kann.
Die Klimakrise können wir nur als politische Akteur*innen angehen, die Regierungen und Unternehmen zu wirkungsvollen Maßnahmen zwingen. Fossile Brennstoffe oder die Waffenindustrie sind größere Klimakiller als unsere Kleiderschränke; trotzdem sind unsere Kaufentscheidungen politisch. Weniger kaufen kann einen winzigen Effekt haben und sei es nur, dass im Kopf Platz für den nächsten Klimastreik frei wird.
Für ein besseres Verständnis hilft Das antikapitalistische Buch der Mode von Tansy E. Hoskins. Darin zeigt sie, dass Mode an sich ist weder problematisch, noch kapitalistisch ist. Doch die Modeindustrie ist beides. Ihr Ziel ist Profit – nicht, dass wir toll aussehen oder funktionale Kleidung tragen. Es geht nicht um unsere Bedürfnisse – im Gegenteil, sie erschafft durch Werbung Fake-Bedürfnisse: Wir sollen uns schlecht fühlen und das durch Shopping kompensieren. Darüber sollen wir unsere tatsächlichen Bedürfnisse vergessen – denn was, wenn wir wüssten, dass menschliche Nähe nachhaltigere Wärme bringt als der siebte Oversized-Pullover?
Individuellen Konsum zu kritisieren und zum Boykott aufzurufen funktioniert nicht, da unsere Fähigkeit, Druck auf Unternehmen auszuüben, von unseren Geldbeuteln abhängt: Mit meinem kann ich Chanel und andere Luxusmarken zu gar nichts zwingen. So haben diejenigen mit den meisten Euros die lauteste Stimme, was bestehende Machtstrukturen reproduziert statt sie zu verändern.
Stattdessen müssen wir uns laut Hoskins dem „political consumerism“ zuwenden: Konsum als Werkzeug, um eine spezifische Veränderung zu erreichen. Ein bekanntes Beispiel ist der Busboykott in Montgomery, Alabama, der 1956 die Racial Segregation in öffentlichen Verkehrsmitteln beendete. Das Ziel ist nicht eine andere Art von Konsum, sondern politische Veränderung: Konsum wird zum Mittel, nicht zum Zweck.
Im Januar, Februar und dem bisherigen März kaufte ich kein einziges Kleidungsstück und das war einfacher als erwartet. Stattdessen träume ich von meinen fünf Kleidungsstücken: ein Ring, um im Mai mein erstes Weiterbildungsjahr zu feiern. Im Sommer ein Leinenkleid. Im Frankreich-Urlaub etwas chices Französisches. Diese Träume sind ähnlich befriedigend wie reale Käufe. Ich scheine weniger zu wollen als im letzten Jahr, zumindest bisher.
Hoskins hat mich zu folgender Liste inspiriert
, die uns helfen wird, unsere Käufe wirklich auf fünf zu begrenzen:Träume nicht von Luxusmarken, die du aus Modezeitschriften kennst – die gehören steuerhinterziehenden Milliardärskonglomeraten.
Boykottiere Modezeitschriften. Sie gehören den gleichen Konglomeraten wie die Marken, die sie bewerben. Jede Anzeige ist ein Interessenkonflikt und kritische Berichterstattung strukturell unmöglich. Ähnliches gilt für große Blogs oder Influencer*innen.
Trends werden von sogenannten Trendforecasting-Agenturen frei erfunden! Ignoriert sie!
Werbung erschafft Fake-Bedürfnisse und soll uns verunsichern, damit wir im Konsum Sicherheit suchen. Ignoriert sie!
Keine Kleidung wird ohne Ausbeutung menschlicher Arbeit produziert. Das gilt auch für Fair-Trade-Kleidung. Sie ist zwar besser für Umwelt und Arbeiter*innen als das grün-gewaschene Äquivalent von H&M, aber wenn wir mehr Fair Fashion kaufen als wir brauchen, retten wir nicht die Welt, sondern spielen das Kapitalismus-Spiel.
Ich möchte in einer Welt leben, in der wir die Klimakatastrophe verhindert haben. In der niemand in instabilen Gebäuden im Akkord T-Shirts nähen muss. In der alle Zugang zu schöner Kleidung von hoher Qualität haben. In der wir weniger Kleidung wollen, weil wir einander nicht mehr an unserer äußeren Hülle messen.
Also: Macht ihr mit? Und wenn ihr schon Kleidung gekauft habt: Schafft ihr für den Rest des Jahres nur fünf? Oder alle 2,5 Monate eins? Oder gar für den Rest des Jahres kein einziges? Erzählt mir in den Kommentaren von euren Plänen oder antwortet auf diese Mail :)
PS: Mehr Lesestoff über dieses Thema findet ihr hier.
Unterwäsche und Socken zählen nicht, genau wie Second-Hand-Kleidung. Den vollständigen Bericht findet ihr hier.
Von mir übersetzte und ggf. umformulierte Zitate aus der englischen Ausgabe. Es gibt das Buch auch auf Deutsch.