Wer kennt es nicht? Neue Partner*in und auf einmal interessieren wir uns für Fußball oder Theater, gucken Game of Thrones oder tragen nur noch Jeans und T-Shirt statt Kleid und Statement-Strumpfhose.
Aber Beziehungen verändern nicht nur solche Äußerlichkeiten, sondern halten auch unserem Selbstbild den Spiegel vor. Ich dachte zum Beispiel ich sei eher introvertiert: Ich gehe nur auf Partys, wo ich mindestens drei Leute kenne und mag. Meine Toleranz für oberflächliche Kennlerngespräche ist nach spätestens 67 Minuten ausgereizt. Ich brauche Zeit für mich, um mich vom Leben und vom Kapitalismus zu erholen. Aber dann habe ich meinen Partner kennengelernt, der seinen Geburtstag – die Party, auf der er alle kennt und mag – einfach ausfallen lässt. In dieser Konstellation bin ich also die extrovertierte Hälfte. Das ist keine Wertung, aber es widerspricht meinem Selbstbild. Und das entsteht bekanntlich aus dem Vergleich mit den Menschen, mit denen wir am meisten Zeit verbringen – weswegen bei mir gerade ein Update installiert wird (der Download dauert allerdings schon Monate, es hakt ein bisschen).
Meine Theorie: Ich bin in den letzten Jahren zufriedener geworden und fühle mich dadurch in sozialen Situationen wohler, weshalb ich mich extrovertierter verhalte als angenommen. Außerdem war ich nie extrem introvertiert, sondern hatte absurde Standards für Extraversion, etwa dass alle einen immer sofort mögen müssen, damit es „zählt.“ Diese langsame Veränderung habe ich aber erst durch eine neue Vergleichsperson bemerkt.
Nicht nur konkrete Partner*innen, sondern auch die Tatsache der Beziehung an sich kann an unserem Selbstbild rütteln: Meins war fest davon überzeugt, dass ich häufiger Single bin als in Beziehungen (ja, wir reden diesen Sonntag vom Selbstbild als sei es eine Person, get used to it). Auf die letzten zehn Jahre gerechnet stimmt das durchaus. Ganz anders sieht es jedoch aus, wenn wir nur die letzten fünf betrachten, von denen ich genau sieben Monate und zehn Tage Single war (es waren sieben verdammt gute Monate, aber dann habe ich einen verdammt tollen Mann kennengelernt…). Auch dieser Selbstbildaspekt ist also ziemlich verstaubt, muss sich zwischen 16 und 21 geformt und betonhart gefestigt haben, sodass auch die Daten von 22 bis 28 (bisher?) kein Reset erlaubt haben. Ich? Beziehungsmensch? Aber ich bin doch unabhängig, mache mein Ding, lasse mir von keiner Partner*in etwas vorschreiben, brauche keine andere Person, um mich komplett zu fühlen! [Fügt hier bitte weitere Unabhängigkeitsklischees ein] Dass das alles auch einer Beziehung geht, bzw. in einer guten Beziehung so sein sollte, ist mir klar. Aber trotzdem! Beziehungsmenschen, das sind doch die anderen!
Warum ist es mir so wichtig, dieses Selbstbild zu erhalten? Bevor ich in Beziehungen war, war es das coolste der Welt, einen Freund zu haben. Ich war fucking neidisch auf alle, die irgendwo einen aufgetrieben hatten! Warum habe ich meine Partner also nicht triumphierend in mein Selbstbild integriert? Fand ich Beziehungen etwa doch nicht so cool? Oder fand ich nur serielle Beziehungen uncool, weswegen eine Beziehung zwar cool ist, aber immer wieder ohne ausreichende Single-Zwischenräume in die nächste zu rutschen uncool? Weil das bedeutet, auf eine Beziehung angewiesen zu sein, was nun wirklich nicht cool ist? Gerade als Feminist*in heutzutage, denn Beziehung = Abhängigkeit?
Natürlich bedeutet sich auf einander einlassen immer einen gewissen Grad an Abhängigkeit – wir öffnen uns und machen uns verletzlich. Wir vermissen die andere Person, wenn wir uns nicht sehen, weil wir diesen Winter nicht jede Erkältung miteinander teilen wollen. Aber ohne freiwillig eingegangene Abhängigkeit kann keine Beziehung entstehen. So wird der Spaß zu einem Tanz auf dem schmalen Abhängigkeits-Grat: Zu wenig, und die Beziehung gewinnt keine Tiefe, die andere Person fragt sich, was ich eigentlich von ihr will, ob ich sie wirklich mag. Zu viel, und ich esse nur noch Tiefkühlpizza, wenn der andere nicht da ist, weil „für eine Person kochen sich ja nicht lohnt“, obwohl das prä-Beziehung völlig normal war und sich natürlich gelohnt hat, schließlich ist eine Person an drei Abenden statt geworden.
Es ist gut, dass Beziehungen an unserem Selbstbild rütteln – dadurch haben wir einen Anlass, es zu überdenken, und uns zu fragen, warum wir an veralteten Selbstkonzeptionen hängen. Eine Beziehung ist eine der wenigen starken, relativ plötzlichen Veränderungen, die überhaupt zu diesem Überdenken führen, weil wir schleichende Prozesse oft gar nicht bemerken – weshalb das Selbstbild hinterherhinkt. Aus den Antworten können wir etwas darüber lernen, wie wir unsere Beziehung oder unser Leben führen wollen: Zum Beispiel Unabhängigkeit in der Beziehung suchen, also bewusst allein kochen, sich nicht gegenseitig zu jeder Party begleiten, Fußball auch mal Fußball sein zu lassen. Dieses Streben nach Unabhängigkeit in der Abhängigkeit macht eine gute Beziehung aus: Denn dadurch entscheiden uns jedes Mal neu füreinander, statt aus Bequemlichkeit jahrelang im selben (Ehe-)Bett zu liegen. Ich persönlich kuschle jedenfalls lieber mit einem Selbstbild als mit der falschen Partner*in.
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