Lasst uns in Corona-Zeiten heute zur Ablenkung über etwas anderes reden – denn dass ihr Hände waschen und (sofern möglich) zu Hause bleiben sollt, müsst ihr nicht noch ein 987568. Mal hören. Deshalb:
Sex mit Bandagen - Dating und chronische Erkrankungen
Als mich vor zweieinhalb Jahren nicht nur meine rechte Achillessehne, sondern auch beide Handgelenke im Stich ließen, fiel das zufällig mit meiner aktivsten Datingphase zusammen. Doch erst als ich kürzlich in einem Podcast die Frage hörte, wie Dating mit einer chronischen Erkrankung denn so sei, fragte ich mich, wie ich das damals eigentlich gemacht hatte. Damals, als meine Einschränkungen deutlich schlimmer waren als heute.
Ich meine mich zu erinnern, dass ich relativ offen damit umging, die Probleme oft schon beim ersten Date erwähnte – allein um nicht zum Bouldern eingeladen zu werden. Wahrscheinlich war das abhängig von meiner Lust, darüber zu reden – ihr könnt euch vorstellen, dass das nicht mein Lieblingsthema war. Trotzdem fühlte ich mich sicherer, wenn die andere Person wusste, dass ich bestimmte Dinge nicht machen konnte/würde. Dass sie weitersuchen musste, wenn sie mit der Partnerin Halbmarathons laufen wollte.
Aber ich habe die Sache ganz schön runtergespielt: „Och, du, ich hab da dieses Problemchen am rechten Fuß und beiden Händen“ statt „Letzte Woche hat die Ärztin gesagt, dass das vielleicht nie wieder gut wird.“ War das dann doch zu persönlich fürs erste Date? *heftiges Nicken eurerseits*
Dafür spricht, dass ich mich so richtig nur an die Reaktionen von zwei Männern erinnern kann, die beide weit über erste Date hinausgekommen sind. Der erste hat immer so nervig-besorgt gefragt, wie es mir denn im Moment so geht. Der zweite hat alles richtig gemacht und meine Einschränkungen nie als Problem gesehen – ich erinnere mich noch, wie ich ihm dafür gedankt habe, dass alles zwischen uns so selbstverständlich war. Und das, obwohl ich zu Anfang unserer Beziehung (Spoiler!) täglich zwei Weihrauchkapseln geschluckt und so einen Hauch Katholizismus geatmet habe.
Die anderen konnten nicht auf meine Probleme reagieren, weil sie zu wenig darüber wussten. Wenn ich es runterspielte, konnten auch sie es nicht ernst nehmen, und dafür will ich natürlich niemandem einen Vorwurf machen. Ich sprach schon mit meinen Freund*innen so viel über meine Sehnen, dass ich meine eigene Geschichte und die dadurch provozierten Ratschläge nicht mehr hören konnte. Bei Dates konzentrierte ich mich deshalb lieber auf andere Themen – bei Bumble konnte ich schließlich sein wer ich wollte, auch eine Person mit „Problemchen“ statt einer chronischen Erkrankung.
Vielleicht waren die Sehnen auch ein Filter: Wer nicht verstand, warum ich beim Sex eine Bandage trug und mich nicht auf den Händen abstützte, hatte in meinem Leben nichts verloren. Wer wollte, dass ich X Kilometer laufen konnte, um ihn zu daten, konnte mir gestohlen bleiben.
Natürlich war und ist es für mich vergleichsweise einfach, meine Einschränkungen nicht zu verheimlichen. Erstens konnte ich mich selbstständig versorgen, und litt – wenn ich bestimmte Aktivitäten vermied – selten unter Schmerzen. Ich war zwar eingeschränkt, aber nicht so sehr, dass Teilhabe nicht mehr möglich war. Zweitens habe ich als Medizinerin eine gewisse Deutungshoheit: Wenn ich sage, dass ich etwas habe, wird das in der Regel nicht hinterfragt. Ich lasse mich durch diesen Status deutlich schlechter in die Hysterie-Schublade stecken. Drittens sind meine Einschränkungen unsichtbar, was zwar eigene Probleme mit sich bringt, aber das Dating ungemein erleichtert. Ich musste nicht darüber nachdenken, ob der Rollstuhl/Gehstock/whatever ins Bumbleprofil soll oder nicht. Wenn ich meine Einschränkungen nicht erwähnt hätte, hätte mein Gegenüber nie davon erfahren. Und viertens können wir über Schmerzen an Händen und Füßen natürlich leichter sprechen als über stigmatisierende Erkrankungen wie sexuell übertragbare oder psychische Krankheiten, oder künstliche Darmausgänge. Auch mit Fast-Fremden beim ersten Date.
Doch nur weil Dating mit meiner chronischen Krankheit vergleichsweise unproblematisch war, heißt das nicht, dass das die Regel ist. Ich würde eher vom Gegenteil ausgehen. Doch hinter jeder Diagnose steckt ein Mensch. Je besser ihr den kennenlernt, desto irrelevanter werden Rollstühle, Spritzen oder Krankenhausaufenthalte. Und für die Gesunden unter uns, die langfristige Beziehungen suchen oder führen: Wenn es mit euch beiden gut läuft, werden die chronischen Krankheiten sich irgendwann zu euch ins Bett legen. Seht es positiv: Das bedeutet, dass ihr euch nicht vorher getrennt habt oder gestorben seid.
Dieser Newsletter freut sich, wenn ihr ihn trotz Bandagen und (Tipp-)Fehler an eure Freund*innen weiterleitet.