Ich war am Mittwochabend bei der Kundgebung vor der FDP-Zentrale in Berlin, zusammen mit über 1000 anderen. Schon als ich am Oranienburger Tor aus der U-Bahn stieg und ungewöhnlich viele Menschen in die gleiche Richtung liefen, wusste ich, dass es gut werden würde. Und das wurde es: Wir waren verdammt sauer und verdammt laut.
Natürlich ist Thomas Kemmerich gestern nicht endlich zurückgetreten, weil ich auf dieser Demo war, oder wegen dieser einen Demo. Sondern weil es viele Demos gab, weil viele Politiker*innen seine Wahl verurteilt haben. Möglicherweise hätte die Kritik seiner Kollleg*innen gereicht, möglicherweise ist sie schärfer ausgefallen, weil wir auf den Demos waren. Weil wir so viele waren.
Aber auch ohne Ursache und Wirkung korinthenkackerisch auseinanderzuklamüsern haben wir diese Woche gesehen, dass Demos funktionieren. Sicher ist der Effekt nicht immer so direkt und schnell, aber während der Demo wissen wir nie, was ihre Konsequenzen sein werden. Wir müssen auf Verdacht hingehen, weil wir sonst kaum Möglichkeiten haben, ins politische Tagesgeschehen einzugreifen.
Wenn es irgendwann heißt: Wo warst du, als das erste Mal eine Partei mit der AfD kooperiert hat? werde ich nichts von Müdigkeit oder Stress stammeln müssen, auch wenn ich es vielleicht nur zur Demo geschafft habe, weil ich am Mittwoch frei hatte und nicht von einem Tag im Krankenhaus ausgelaugt war. Aber bei der nächsten Demo werde ich – auch nach einem langen Tag im Krankenhaus – an dieses Gefühl denken und mich so motivieren.
Natürlich kosten Demos Zeit, natürlich werden die Füße gerade im Februar verdammt kalt. Andererseits finden die meisten Demos an zentralen Orten statt, andererseits ist es besser, nur eine Stunde hinzugehen als gar nicht. Auch ich bin nach einer Stunde gegangen, weil ich noch Konzertkarten hatte. Doch genau das ist mein Punkt: Wir können politische Aktivität wie diese Demos in unseren Alltag integrieren. Nein, wir müssen sogar. Vielleicht habt ihr nicht genug Zeit und Energie für regelmäßigen Aktivismus. Aber das heißt nicht, dass eine Stunde für eine Kundgebung am Mittwochabend oder ein Samstagvormittag für eine Demo nicht drin sind. Denn eine Demo ist nicht nichts – eine Demo ist ein Anfang.
Wenn ihr euch fragt, wie ihr diese Demos finden sollt: Folgt politischen Gruppen bei Social Media, lasst euch in E-Mail-Verteiler eintragen. Selbst wenn ich nicht Teil der Gruppe wäre, die diese Demo organisiert hat, hätte die Info darüber mich in zwei E-Mails und zig Insta-Stories und Facebook-Posts erreicht.
Natürlich gibt es berechtigte Gründe, es nicht zu schaffen. Mit gebrochenen Beinen (eins reicht!), Fieber oder starken Regelschmerzen seid ihr zu Hause besser aufgehoben. Eure Kinder solltet ihr für eine Demo auch nicht unbeaufsichtigt lassen. Und ja, es gibt einfach Tage, an denen die Energie fehlt – dass der Neoliberalismus uns nicht viel Raum für Widerstand lässt ist schließlich kein Zufall. Aber das ist in Ordnung, so lange wir an anderen Tagen hingehen. Die Message dieser Kolumne – Predigt? – ist nicht „Geht zu jeder Demo!“ Das wären in Berlin gefühlt sieben am Tag, was sogar zu Studienzeiten nur mit Hermines Zeitumkehrer möglich gewesen wäre. Die Message ist auch nicht „Geht jede Woche zur Demo!“, obwohl das natürlich ideal wäre, aber ich werde nichts propagieren, was ich selbst nicht schaffe. Die Message ist: GEHT UNBEDINGT ZUR DEMO! Wenn ihr euch nicht mehr an eure letzte Demo erinnern könnt, ist sie zu lange her.
Doch Glück gehabt: Nächste Woche Samstag (15.2.2020, 13h, Domplatz) ist in Erfurt eine bundesweite Großdemo unter dem Motto #Nichtmituns – kein Pakt mit Faschist*innen, auf der ihr zeigen könnt, wie scheiße ihr Kooperationen mit der AfD findet. Außerdem bringt das euer Demo-Konto wieder ins Plus. Wir sehen uns dort!
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