#25: Kein schmissiger Titel, dafür Buchempfehlungen für unter den Weihnachtsbaum
Advent, Advent, ihr müsst Weihnachtsgeschenke besorgen… zumindest falls ihr Weihnachten feiert. Wenn ihr dieses Jahr kleine Buchläden unterstützen wollt, hätte ich hier ein paar Empfehlungen:
Romane:
The Emperor’s Babe von Bernardine Evaristo: Dieser Versroman spielt vor 1800 Jahren im römisch besetzten London. Zuleika, eine nubische Teenagerin, wird von ihren Eltern an einen reichen römischen Geschäftsmann verheiratet. Das ist natürlich nicht das Leben, das sie sich erträumt hat, doch dann lernt sie den Kaiser Septimius Severus kennen und beginnt eine Affäre mit ihm. Das kommt der Sache schon näher… Für: Alle, die mal in einem ganz neuen Ton etwas über die alten Römer*innen lesen wollen. (Leider bisher nur auf Englisch)
Geschichte für einen Augenblick von Ruth Ozeki: Ruth findet an einem verlassenen Strand der kanadischen Westküste eine Hello-Kitty-Brotdose, in der ein Notizbuch trocken den Weg aus Japan über den Pazifik überstanden hat. Statt an ihren Memoiren zu arbeiten, verliert sie ich in Naokos Geschichte: Naoko hat lange mit ihren Eltern in den USA gelebt, doch mit dem Zerplatzen der Dot-Com-Blase verlor ihr Vater Job und Vermögen, sodass die Familie nach Tokio zurückkehrte. In ihrer neuen Schule wird sie gemobbt, ihr Vater findet keinen Job und wird depressiv. Um sich davon abzulenken, will Naoko die Lebensgeschichte ihrer Großmutter, einer buddhistischen Nonne unklaren Alters, aufschreiben, doch ihr alltägliches Leben schleicht sich immer wieder dazwischen. Ruth kann kaum noch aufhören zu lesen und bangt um Naokos Schicksal: Hat sie Selbstmord begangen? Ist sie durch den Tsunami von 2011 getötet worden? Doch dann passieren seltsame Dinge… Für: Alle, die gern über Zeit nachdenken.
Zerrissene Erde, Brennender Fels und Steinerner Himmel von N.K. Jemisin: Ein Kontinent in einer fernen Zukunft. Manche Menschen können mit magieartigen Fähigkeiten Erde und Gestein kontrollieren. So verhindern sie Erdbeben, Vulkanausbrüche und dergleichen, doch trotzdem werden sie geächtet. Doch dann zerstört ein riesiges Erdbeben die gesamte Zivilisation und verursacht eine Eiszeit. Dies ist nur die letzte Schlacht in einem jahrtausendealten Krieg zwischen Menschheit und Vater Erde. Essun will eigentlich nur ihre Tochter finden, doch dann stellt sie fest, dass auch für sie in diesem Krieg eine Rolle vorgesehen ist… Für: alle, die mal wieder in einem Buch bzw. einer Trilogie verschwinden und erst Tage später wieder auftauchen wollen. Auch die, die „eigentlich“ kein Fantasy lesen (same!).
Queenie von Candice Carty-Williams: Queenie ist eine junge Schwarze Frau in London. Sie arbeitet bei einer Zeitung, will Journalistin werden, doch ihre Ideen kommen bei ihrer Chefin nicht besonders gut an. Sie trauert ihrem weißen Freund hinterher, obwohl er sie nie gegen die rassistischen Bemerkungen seiner Familie verteidigt hat. Gleichzeitig rutscht sie in alle möglichen Männergeschichten rein, muss im immer schneller gentrifizierenden London eine Wohnung finden, sich überlegen, ob sie sich auf eine Therapie einlassen soll oder nicht… Großer Stress für Queenie, doch für die Leser*in bedeutet das gute Unterhaltung und Erleichterung darüber, dass unser Leben deutlich langweiliger ist. Für: Alle, die mal eine Pause brauchen.
Sachbücher
Big Friendship – How We Keep Each Other Close von Aminatou Sow und Ann Friedman: Ein wunderschönes Buch über Freundschaft (schenkt es euren Freund*innen, sie werden sich geehrt fühlen!). Sow und Friedman, die Hosts des Podcasts Call Your Girlfriend, erzählen die Geschichte ihrer langjährigen Freundschaft und beschreiben so das Konzept Big Friendship – einer engen, erfüllenden Beziehung, die wir brauchen, um glücklich zu werden. Es geht darum, wie wir diese von der Gesellschaft häufig ignorierten Beziehungen (Plural! Big Friendships sind im Gegensatz zu BFFs nicht zwingend monogam oder exklusiv) pflegen und langfristig erhalten können. Für: Gute Freund*innen und solche, die es werden wollen. (Leider bisher nur auf Englisch)
Das Antikapitalistische Buch der Mode von Tansy E. Hoskins: Ich arbeite seit Wochen an einem Text über dieses Buch, aber ich fürchte, ihr werdet es selber lesen müssen; es ist zu gut, um es auf 1500 Wörtern zusammenzufassen. Hoskins schildert die unheilige Allianz zwischen Modeindustrie und Kapitalismus auf eine Weise, dass es einem kalt den Rücken runterläuft: Ausbeutung, Umweltverschmutzung, Monopolisierung, Ausgrenzung und vieles mehr. Spoiler: Wir werden das Problem nicht durch ethischen Konsum lösen können. Sie macht Vorschläge dafür, wie Mode in einem anderen System funktionieren könnte. Und ja, es klingt tausendmal besser als das aktuelle Fast-Fashion-Hamsterrad. Für: Alle, die regelmäßig Kleidung tragen.
Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte von Katharina Oguntoye, May Ayim, Dagmar Schultz (Hrsg.): Dieses Buch vereinigt eine historische Darstellung von Afro-Deutschen, Erfahrungsberichte vom Leben als Schwarze in Deutschland vom Kaiserreich bis in die 1980er und Werke von afro-deutschen Dichterinnen. Eine extrem gelungene und informative Kombination, die dieses Jahr zum Glück neu aufgelegt wurde. Wie ihr euch denken könnt, hat dieses Buch auch dreißig Jahre nach dem ersten Erscheinen nichts an Relevanz verloren. Für: Alle, die zu wenig über die Kolonialgeschichte Deutschlands und ihre Folgen wissen (das sind wir alle!).
Unziemliches Verhalten – Wie ich Feministin wurde von Rebecca Solnit: Wer wissen will, wie es denn die letzten Jahrzehnte als Frau im öffentlichen Raum so war, findet hier eine (ernüchternde) Antwort. Aus einem Essay Solnits stammt der Begriff „mansplaining“ und in ihren Memoiren schildert sie auf kluge und inspirierende Weise, wie sie die Feministin, Aktivistin und Schriftstellerin wurde, die sie heute ist. Sie nimmt uns mit in ein traumhaftes Apartment in San Francisco, den amerikanischen Westen und in ihren Kopf (definitiv das interessanteste Ziel). In diesen Jahren fand sie ihre Stimme als Autorin und merkte gleichzeitig, wie eng ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung mit der Frage verbunden sind, wer in diesem System eine Stimme bekommt und wer nicht. Für: Männer! Und Frauen*! Und alle anderen!
Autokratie überwinden von Masha Gessen: Das habe ich hier schon einmal empfohlen, aber die Notwendigkeit dieses Buches bleibt bestehen, solange Trump im Weißen Haus sitzt. Und wer weiß, ob er (oder Ivanka) uns in vier Jahren wieder das Leben zur Hölle machen wird… Und nein, vorbestraft sein ist zumindest keine formale Disqualifikation für dieses Amt, obwohl das für viele Amerikaner*innen das Ende ihres aktiven Wahlrechts bedeutet… Für: Alle, die sich fragen, ob sie Sache mit Trumps Wahlniederlage geklärt ist (Spoiler: Natürlich nicht!).
Afropäisch – Eine Reise durch das Schwarze Europa von Jonny Pitts: Ein schwarzer Brite reist durch das Europa des Winters 2015/16, um das Afropäische zu finden. Er will herausfinden, wie Schwarze dazu beitragen, die Europäische Identität zu formen. Die Reise führt unter anderem ihn nach Moskau, Marseille, Berlin, Stockholm, Lissabon und Paris. Die pandemiefreundliche Fortsetzung der Reise findet ihr auf dieser Website. Für: Alle, die wenigstens eine mentale Reise machen wollen.
1918: Die Welt im Fieber – Wie die Spanische Grippe die Gesellschaft veränderte von Laura Spinney: Dieses Buch findet sich dieses Jahr wohl auf vielen Listen, aber während einer Pandemie ist es auch einfach ein besonders Leseerlebnis. Wusstet ihr, dass es Influenza gibt, seit Menschen sesshaft geworden sind? Dass 1918 nicht klar war, dass ein Virus an der Pandemie schuld war? Dass bis heute Uneinigkeit darüber herrscht, ob das Virus aus Kansas, Frankreich oder China stammte? Dass die Grippe trotzdem als „spanisch“ getauft wurde, weil spanische Zeitungen nicht zensiert wurden und deshalb als erste darüber berichteten, weshalb es so schien, als käme die Krankheit aus Spanien? Dass diese Pandemie mehr Menschen tötete als der erste Weltkrieg, aber weniger Platz in Geschichtsbüchern einnimmt? Dass sie für den Beginn des sozialen Wohnungsbaus in New York City mitverantwortlich war? Dass der Versailler Vertrag ohne sie möglicherweise anders ausgesehen hätte? Das und mehr lest ihr in diesem Buch. Viel Spaß beim Parallelen ins Jahr 2020 ziehen… Für: Alle, die ihre Pandemie-Erfahrungen historisch einordnen wollen.
Die Empfehlungen aus dem ersten Lockdown und die Spaß-Bücher hier gelten selbstverständlich weiterhin!