Ihr wolltet einfach nur ein nettes Zoom-Bier trinken, aber dann erzählt eure Freund*in, dass sie und ihre Partner*in nicht mehr zusammen sind. Ihr denkt: „Scheiße. Auch das noch. Was sage ich jetzt?“ Dabei seid ihr heilfroh, dass diese Partner*in endlich weg ist, ihr wisst schließlich schon seit Jahren, dass eure Freund*in Besseres verdient hat. Trotzdem stammelt ihr: „Oh nein, wie schade, du Arme*r, willst du Schokolade oder noch ein Bier oder fünf?“ statt zu rufen: „Herzlichen Glückwunsch, lass uns anstoßen!“ (Immerhin haben beide Varianten die gemeinsame Endstrecke Alkohol.) Das Gespräch holpert weiter, zwischendurch hängt das Internet und ihr wünscht euch nichts sehnlicher als per Mail verschickbare Umarmungen. Ihr wollt Mitgefühl zeigen, für eure Freund*in da sein, klar. Aber dafür müssen wir unsere Reaktion auf Trennungen ändern, auch wenn das paradox klingen mag.
Natürlich verletzen Trennungen. Natürlich dürfen frisch Getrennte trauern und die Beziehung verarbeiten. Aber wäre das nicht einfacher, wenn wir die Trennung als Chance sehen würden? Oder gar als Befreiung? Wenn wir honorieren, welch mutiger Schritt das war? (Auch wenn unsere Freund*in „verlassen“ wurde, ist es mutig, sich dieser neuen Situation zu stellen und sie zu akzeptieren.) Als gute Freund*innen müssen wir nicht an die traurigen Aspekte erinnern – auf die kommen frisch Getrennte selbst – sondern an die der Trennung inhärenten Chancen: Jetzt hast du viel mehr Zeit für dich und deine Freund*innen, du bist in allen1 Lebensentscheidungen auf einmal wieder völlig frei! Die Stadt gehört wieder dir!
Eine Trennung erscheint zunächst wie die ultimative Zurückweisung – „Was soll das heißen, du liebst mich nicht mehr? Wir haben doch schon über Kinder gesprochen!“ Doch tatsächlich ist eine Trennung eine Befreiung aus der falschen Beziehung, egal ob freiwillig oder nicht. Auch „verlassen“ werden ist besser als eine Partner*in, die aus Angst, Mitleid oder anderen falschen Gründen bleibt.
Doch in dieser Gesellschaft ist die (heterosexuellen) Paarbeziehung der heilige Gral. Deswegen ist jede Trennung eine Tragödie, egal wie unglücklich die Partner*innen miteinander waren, egal ob sie sich gegenseitig von Auslandsaufenthalten oder Jobwechseln abgehalten haben, egal wie sehr sie sich gegenseitig den Lockdown zur Hölle gemacht haben. Kurz: egal, wie viel besser sie ohne einander dran sind.
Deswegen müssen wir weinen, saufen, kübelweise Schokoeis essen, vor allem als Frauen*, vor allem wenn wir „verlassen“ wurden. Dieses Romcom-Klischee dominiert weiterhin und gibt vor, die einzig richtige Reaktion auf eine Trennung zu sein. Natürlich sind das legitime Arten, eine Trennung zu bewältigen. Aber es gibt eben auch andere. Mein Facebook-Status mit der Frage nach positiven Trennungsnarrativen blieb vor drei Jahren kaum kommentiert. Diese Narrative sind popkulturell erst seit kurzem sichtbarer geworden, zum Beispiel mit Ariana Grandes Lied Thank u next oder FIVAs Die Stadt gehört wieder mir.
Deswegen müssen wir anders über Trennungen sprechen. Wir müssen selbst eine Kultur schaffen, in der die Trennung an sich etwas Gutes, oder wenigstens etwas Neutrales, ist: Mindestens eine Chance, wenn nicht gar eine Befreiung. Sie ist jedenfalls keine schwere Prüfung, durch die die Protagonist*in – ähnlich wie bei popkulturell verarbeiteten Krebserkrankungen – trotz allem zu einem besseren Menschen wird. Nein, wir werden wegen unseren Trennungen wer wir sind – egal ob „besser“ oder „schlechter“ – und wer nicht mit uns zusammen sein will, hat uns sowieso nicht verdient.
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Wir klammern uns an die falschen Partner*innen, weil die Gesellschaft uns sagt, dass wir ohne sie vollkommen verloren wären. Aber wenn ihr euch mal kritisch in eurem Freund*innen-Kreis umschaut: Wie viele Beziehungen machen euch neidisch? Wie viele Partner*innen passen wirklich zusammen? Wie viele Beziehungen sind gut statt bloß mittelmäßig? Und wieso sollte eure eigene Beziehung wesentlich besser sein?
(Dieser Text ist keine Aufforderung zur Trennung – außer ihr braucht eine, dann ist er das Zeichen, auf das ihr gewartet habt: Der richtige Moment für eine Trennung ist jetzt. Auch wenn ihr Angst vor dem nächsten Lockdown habt – gerade wenn ihr Angst davor habt. Ihr habt mehr verdient als eine mittelmäßige Beziehung.)
Es geht mir um eine differenzierte Sichtweise auf Trennungen. Die Katastrophenlinse wird uns von der Gesellschaft aufgezwungen. Das ignoriert jedoch, dass diese Entscheidung oft sehr schwer ist, gerade weil der gesellschaftliche Druck, zusammen zu bleiben so groß ist. Nur Monster trennen sich zum Spaß, aber die sind glücklicherweise seltener als wir befürchten. Wer sich trotzdem zur Trennung durchringt, hat extrem gute Gründe dafür. Das Katastrophennarrativ schiebt diese Gründe in den Hintergrund, während die Chancen- und Befreiungsnarrative diese Entscheidung mit einer positiven Erzählung belohnen. Wenn die Gründe im Trennungsnarrativ nicht verschleiert werden, ist die Trennung keine Bombe aus dem Nichts, sondern (idealerweise) nachvollziehbar. Und was nachvollziehbar ist, lässt sich auch besser verarbeiten.
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In Zagreb, Kroatien, gibt es ein Museum der zerbrochenen Beziehungen, das Museum of Broken Relationships. Die Ausstellungsstücke sind Alltagsgegenstände, die ihre Bedeutung aus verflossenen Beziehungen gewinnen: Ein Post-It, dessen Schreiber*in von einem Guten-Morgen-Kuss unterbrochen wurde. Holzmodelle für die Möbel fürs Traumhaus, in das dieses Paar nie einzog. Tickets für die Olympischen Spiele 1968 in Mexico City, die in einer Ehe mündeten, die 1993 geschieden wurde. Der Fallschirmgurt eines Fallschirm-Lehrers, der auf der Arbeit den Tod fand. Die letzte Zeitschrift, die ein Paar gemeinsam las. Die Kaffeemaschine, die er ihr geschenkt hatte. Eine Schallplatte mit einer Schubert-Aufnahme des Großvaters der Einsender*in, dessen Opernkarriere durch eine Kriegsverletzung vereitelt wurde, doch dessen erste Freundin hatte die Platte bis zu ihrem Tod aufbewahrt.
Kleine Tafeln erzählen in den Worten der Einsendenden Fragmente ihrer Geschichte. Im Zusammenspiel wird jede Beziehung poetisch geadelt, und trotzdem ist es mehr als in Ordnung, dass diese Märchen vorbei sind, vielleicht von neuen abgelöst wurden, vielleicht aber auch nicht. Im Museumsshop gibt es T-Shirts mit der Aufschrift „I <3 Breakups“, Seife mit dem Slogan „Pain down the drain“ oder Lesezeichen, die dazu auffordern, eine neue Seite aufzuschlagen („Turn over a new leaf“).
Auf der Website des Museums findet ihr Informationen dazu, wie auch eure zerbrochenen Beziehungen Teil dieser „kollektiven emotionalen Geschichte“ werden können. Es ist ein demokratisches Projekt, jede Beziehung ist ausstellungswürdig, jede Geschichte erzählenswert. Wir alle können uns verabschieden, indem wir ein Stück unserer gebrochenen Herzen nach Zagreb schicken. Hier wird Trennungen nicht nur gedacht, hier werden Trennungen gefeiert. Wir verstecken unsere Trennungen nicht, wir ehren sie mit einem Ausstellungskasten und einem zweisprachigen Schild. Sie sind passiert, sie hatten gute Gründe, wir sind ok. Und jetzt leben wir weiter.
Diesen Umgang mit Trennung habe ich nach meiner letzten Trennung gesucht: Das Museum ist voller positiver Trennungsnarrative, deren Protagonist*innen alle so gut überlebt haben, dass sie die Geschichte erzählen und die Reliquien mit der Welt teilen können. Wenn ich die Kronkorken vom ersten Date mit meinem Ex nach der Trennung nicht fachgerecht entsorgt hätte, wären sie jetzt auch in Zagreb.
Bitte verkuppelt diesen Newsletter mit euren Freund*innen – leitet sie weiter!
Das gilt besonders für Trennungen in meinem Umfeld mit Mitte bis Ende Zwanzig, ohne Kinder – eine Situation, in der eine Trennung vergleichsweise unkompliziert sein kann.