Influencerinnen sind die Prinzessinnen des 21. Jahrhunderts: Follower (= ergebene Untertan*innen), Likes (= Huldigung), free stuff (= Steuern), und sie müssen scheinbar nicht arbeiten (= Prinzessin). Außerdem sind sie quasi Models, und mein Germany’s Next Topmodel-indoktriniertes Gehirn hält das offenbar für den Gipfel des Erfolgs…
Also begann ich 2010 einen Blog, dessen Namen ich hier nicht nennen werde, um die Influencerinnen-Karriere zu starten. An der Tatsache, dass ich mein Studium bald abschließen werde, seht ihr, was draus geworden ist: 2020 möchte ich definitiv keine Influencerin mehr sein. Mittlerweile ist mein Instagram privat (2019 mit einer Höchstleistung von zehn Posts!) und meine alten Blogs (ja, Plural) liegen auf diesem Friedhof namens Internet.
Die Gründe dafür sind vielfältig: Seit Instagram ehrlicher geworden ist – Stichwort Instagram vs. Reality – ist die Arbeit hinter diesem Job sichtbarer geworden: perfekte Fotos, Networking, Follower sammeln, Posts schreiben, etc. kostet unglaublich viel Zeit – weswegen meine Blogs nie besonders perfekt waren. Ich überarbeite diese Newsletter im Schnitt fünf Mal, stellt euch vor, ich wollte jeden Tag mehrfach posten…
Ich finde es schon ziemlich komisch genug, Freund*innen die Info über diesen Newsletter zu schicken. Ich möchte nichts verkaufen, und sei es noch so digital und platzsparend. Aber als Influencer*in im Kapitalismus geht es eben nicht Marketing. Und das free stuff, das Influencer*innen im Rahmen der Marketingaktionen anderer bekommen, ist wahrscheinlich auch viel free Scheiß, und ist das wirklich die Unboxing-Videos wert?
Da das Internet immer an ist, ist entsprechend nie Feierabend, und trotz der dauerhaften Arbeit gibt es keine Jobsicherheit. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie aus Followern und Likes die Sorte Geld werden soll, mit der wir Miete bezahlen können. Wahrscheinlich durch noch viel mehr Arbeit, aber wie viele Stunden hat der Tag nochmal?
Außerdem müsste ich mich in diesem Job von meiner Privatsphäre verabschieden. Wahrscheinlich teile ich auch so zu viel mit dem Internet (an dieser Stelle LG an Google), aber es fühlt sich besser an, wenn weniger als 100 Menschen meine Selfies sehen. Weil ich keine Influencerin bin, muss ich nicht darüber nachdenken, ob ich meinen zweiten Kaffee, den seltenen Sonnenstrahl im Januar-Berlin oder meine Wochenendpläne mit Insta teilen möchte, sondern kann es einfach lassen. Ich kann im Moment leben, statt ihn zu fotografieren, kann beim Lizzo-Konzert tanzen, statt meine Handykamera über der Menge zu schwenken und trotzdem nur schlechte Fotos zu machen. Nein, danke.
Seit ein paar Jahren scheint das Internet ohne Hasskommentare nicht mehr zu funktionieren, wie ein Immunsystem, das regelmäßig Kontakt zu Krankheitserregern braucht, um fit zu bleiben. Wobei der tiefere Sinn von Hasskommentaren bezüglich der Gesundheit des Internets mir noch nicht klar ist – vielleicht ein Zeichen für Probleme dieser Analogie? Vielleicht ein Zeichen für die Sinnlosigkeit der Hasskommentare? Ich will jedenfalls lieber nicht ausprobieren, ob mein psychisches Immunsystem an diesen Kommentaren wächst oder leider doch implodiert.
Ich weiß außerdem nicht, ob ich meinen Selbstwert erfolgreich von meiner Influencerinnen-Persona abkoppeln könnte, schließlich müsste ich mich selbst und mein Leben permanent darstellen und ideal verkaufen, um eine zu werden. Und da müssen nur langsam wachsende oder gar schrumpfende Follower-Zahlen doch heißen, dass mit mir oder meinem Leben etwas nicht stimmt? Dass wir mindestens nicht fotogen und ästhetisch genug sind? Oder gar zu… was auch immer aktuell gesellschaftlich stigmatisiert wird – ich weigere mich, diesen Gedanken zu Ende zu führen.
Insgesamt ist mir also klar geworden, dass diese Prinzessinnen-Sache – bis auf die nicht vorhandene Privatsphäre – schlicht nicht stimmt. Wahrscheinlich fragt ihr euch jetzt, warum ich dann diesen Newsletter angefangen habe. Klar ist es kein Instagram-Account, und streng genommen auch kein Blog, aber ist es wirklich etwas komplett anderes? Um diese Grundsatzfrage zu klären, müssen wir eigentlich nur eine Frage beantworten: Ist Margarete Stokowski (aka das Vorbild für diesen Newsletter) Influencerin? Ich würde sagen nein, dafür sind zu viel Selbstironie und Sarkasmus, zu wenig „Ich zeige euch mein Leben und meine Lieblingsprodukte“ in ihrem Instagram. Zu viele tolle Worte und Sätze, zu wenige ästhetische Fotos (das ist ein Kompliment!). Ihr Insta ist ein Nebenschauplatz zur Verbreitung ihrer Projekte, nicht das Hauptprojekt.
Weil Spiegel Online Kolumnen aber nicht per Anmeldung auf der Website zu bekommen sind, habe ich mich fürs nächstbeste Medium entschieden. Ich will meine Motivation erhöhen, indem ich für Menschen, statt für meine Festplatte schreibe. Ich will einen Grund zum Schreiben haben, gegen den auch mein innerer Schweinehund nicht andiskutieren kann. Ich will lernen, besser zu schreiben, schneller zu schreiben, meinen Punkt präziser zu formulieren. All das wird mich nicht zur Influencerin machen, aber das ist mir 2020 zum Glück scheißegal.
Wenn ihr mehr werdet, erhöht ihr die Chance, dass aus fast jedem Sonntag tatsächlich jeder wird. Bitte schickt diesen Text an eure Freund*innen!