Der Präsident der USA hat sich mit dem Coronavirus infiziert. „Endlich!“ sagen viele und grinsen. „Schadenfreude ist jetzt fehl am Platz, habt ein bisschen Empathie!“ sagen andere. Ich bin verdammt sauer auf diese anderen. Zufällig las ich gerade Autokratie überwinden von der russisch-amerikanischen Journalistin Masha Gessen, als Donald Trumps Infektion bekannt wurde. Das Buch ist eine Zusammenfassung und Analyse dessen, was Trump in den letzten vier Jahren den USA und der Welt angetan hat. Vom Muslim Ban über die Angebereien über „sein“ Atomwaffen-Arsenal, von Kindern in Käfigen über die jüngste Unfähigkeit, sich von White Supremacists zu distanzieren – ihr kennt die unendliche Liste. Vorsichtig ausgedrückt war ich nicht in Empathie-Stimmung. Stattdessen verbrachte ich eine Stunde meiner Einschlafstörung mit dem mentalen Entwurf dieser Kolumne.
Trump ist wahrscheinlich der Mensch mit dem besten Zugang zu Gesundheitsversorgung in den USA, wenn nicht gar der Welt. Er wird gerade mit allen experimentellen Therapien, die nicht nachweislich schaden, vollgepumpt. Wenn jemand die Infektion trotz Zugehörigkeit zur Risikogruppe überlebt, dann er. (Hört ihr es nicht schon? „Told you it was a hoax! Why are all these losers dying? I didn’t die! I had the fastest recovery in history!“)
„Habt ein bisschen Empathie!“ lässt sich als weißer, deutscher Journalist einer Mainstream-Zeitung leicht sagen. Denn dann hat man durch Trump kaum Probleme, vielmehr sorgt er mit seinem Verhalten wahrscheinlich für Jobsicherheit. Und auch mit einem Trump-Äquivalent im eigenen Land müsste man in dieser Position kaum um sein Leben und seine Freiheiten fürchten. Von diesem Standpunkt aus lässt Empathie sich also leicht fordern. Und jetzt sollen wir sie auch noch für jemanden aufbringen, für den dieses Gefühl ein Fremdwort ist. No, thank you.
Wir sollen unsere Empathie rausrücken – das einzige, was wir haben? Wenn Trump für die mehr als sieben Millionen Infizierten und über 200.000 Toten in den USA nicht einmal leere Worte, geschweige denn Taten hatte? Infektionen und Todesfälle by the way, die er persönlich hätte verhindern können? Indem er sich nicht über Masken lustig gemacht hätte, indem er für Schutzausrüstung gesorgt hätte, indem er seinen Wahlkampf online geführt hätte, statt Superspreader-Events zu veranstalten… Oh, die Möglichkeiten sind schier gar endlos.
Auch das Argument, dass wir es den amerikanischen Corona-Toten schuldig seien, uns jetzt nicht unserer Schadenfreude hinzugeben, überzeugt nicht. Im Gegenteil. Ihnen sind wir es schuldig, Trump weiter zu kritisieren, seine Wiederwahl und Trump-Äquivalente in anderen Ländern zu verhindern, weiterhin uns selbst und andere vor dem Virus zu schützen. Aber Mitgefühl gegenüber Trump sind wir ihnen sicher nicht schuldig.
Warum sollte ich meine begrenzten Empathie-Ressourcen ausgerechnet Trump zukommen lassen? Nein, ich hebe mir meine Empathie lieber für diejenigen auf, die wegen Trumps Mismanagement der Pandemie ihren Job und ihre Krankenversicherung verloren haben. Für diejenigen, die mit der Nominierung von Amy Coney Barrett für den Supreme Court um ihre sexuelle Selbstbestimmung bangen müssen. Für diejenigen, die seit 2016 verstärkt rassistischen Anfeindungen und Hasskriminaltät ausgesetzt sind. Für diejenigen, die von der Polizei ermordet wurden und werden. Für diejenigen, aufgrund strengerer Einwanderungsregeln ihre Existenz in den USA aufgeben und in Käfigen auf ihre Deportation warten müssen. Für alle, die weltweit unter Trump und Trump-Verschnitten leiden müssen.
Comic relief („befreiende Komik“) ist ein Stilmittel, bei dem komische Elemente (Figuren, Szenen, etc.) ansonsten ernsthafte Werke auflockern und kurzzeitig Spannung abbauen. In Shakespeares Tragödien findet ihr viele Beispiele davon; ein moderneres wären Fred und George Weasley und ihre Scherze in Harry Potter. Schadenfreude ist comic relief in einem Jahr, in dem sehr wenig komisch, und nichts erleichternd war. So wird Schadenfreude zu einer essentiellen Bewältigungsstrategie. Ich gebe es zu: Diese Schadenfreude gibt mir Kraft, und ich werde mich nicht dafür entschuldigen.
Heute genießen wir unsere Schadenfreude, und morgen machen wir weiter: Tragen weiter Masken, halten weiter Abstand (aber nur körperlich), fordern weiterhin eine bessere Bezahlung und mehr Personal für Gesundheitsarbeiter*innen und andere Systemrelevante, engagieren uns weiter politisch, gehen weiter zu Demos, blockieren weiter Nazis und die AfD, verhindern weiter einen hausgemachten Trump. All das ist zielführender als Empathie für Donald Trump.
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