Wie ist es eigentlich, wenn Ärzt*innen zur Ärzt*in gehen? Gibt es einen speziellen Handschlag? Trinken sie einen Kaffee und quatschen, bevor es losgeht? Werden sie besser behandelt? Oder behandeln sie sich selbst und wissen deshalb gar nicht, wie Wartezimmer aussehen?
Kaffee und Handschlag habe ich noch nie bekommen, aber vielleicht ist das Fachärzt*innen vorbehalten. Zu den anderen Fragen habe ich ein paar Gedanken.
Patient*in und Ärzt*in in Personalunion sein hat Vorteile: Es kann leichter sein, Termine zu bekommen, wenn wir (über Ecken) Fachärzt*innen kennen. Wir werden dazwischen geschoben, obwohl wir gesetzlich versichert sind. So musste ich einmal nur eine Woche auf einen Termin warten; ohne Vitamin B wären es drei Monate gewesen.
Manchmal verkürzt ein medizinischer Beruf Wartezeiten, zum Beispiel in Notaufnahmen. Während meines Praktikums dort wurden Kolleg*innen und Mitarbeiter*innen des Krankenhauses vorgezogen, sofern diese sich bei der Anmeldung als solche zu erkennen gaben. Einerseits ist das ein Gefallen, den wir einander tun. Andererseits gehen wir davon aus, dass medizinisches Personal die Dringlichkeit besser einschätzen kann als Laien. Daher ist dieses Vorgehen gerechtfertigt, denn natürlich werden dafür keine Notfälle zurückgestellt.
Der dritte Vorteil ist der wichtigste: Mein Gegenüber nimmt meine Beschwerden ernst – schließlich bin ich Ärztin, ich werde mir das schon nicht einbilden. Gerade für mich als junge Frau, für deren Symptome es bisher keine Erklärung gibt, ist es bemerkenswert, dass mir nie der Eindruck vermittelt wurde, dass sie mich für verrückt oder hypochondrisch halten. Ich bin mir sicher, dass das daran liegt, dass sie wussten, dass ich auch Medizinerin bin.
Lange glaubte ich, dass ich besser behandelt werde als Laien. In Einzelfällen mag das stimmen; vielleicht geben manche Ärzt*innen sich bei Kolleg*innen mehr Mühe. Vielleicht bekomme ich die Behandlung, die sie sich selbst wünschen.
Doch ich hinterfrage diese These immer mehr: Ist es wirklich besser, wenn die Ärzt*in mir ein zweites Mal Blut abnimmt, obwohl die Wahrscheinlichkeit für auffällige Werte null ist? Oder ist es eine unnötige medizinische Untersuchung, die bestenfalls Geldverschwendung ist und durch falsch-positive Ergebnisse Stress verursachen kann? Auch wenn Ärzte*innen den Spielraum der gesetzlichen Krankenkasse voll ausnutzen und ich zu einer „inoffiziellen“ Privatpatientin werde, hängt die Behandlungsqualität von der konkreten Situation ab. Eine prinzipiell bessere Behandlung lässt sich aus meinem Kolleg*innen-Status nicht ableiten.
Manchmal bekomme ich einfach das Rezept, ohne dass die Ärzt*in mich genau anguckt – ich werde mir schon was dabei gedacht haben. Stattdessen erzählen sie mir Geschichten über andere Patient*innen. Dass ich mich selbst fehldiagnostiziert haben könnte, wird nicht bedacht. In diesem Fall werde ich schlechter behandelt als Laien.
Ärzt*innen überschätzen das medizinische Wissen ihrer Kolleg*innen häufig; Aufklärungen schrumpfen auf „Wissen Sie ja selbst“ zusammen. Vielleicht wollen sie die ärztliche Eitelkeit nicht kränken, vielleicht können sie sich nach jahre- oder jahrzehntelanger Erfahrung nicht mehr vorstellen, wie wenig Kolleg*innen aus anderen Fachgebieten über ihr täglich Brot wissen. Doch wenn ich seit zwanzig Jahren Neurochirurgin bin, habe ich zu Hautkrankheiten bestenfalls veraltetes Halbwissen. Frisch von der Uni dagegen fehlt mir die klinische Erfahrung, auch wenn ich mich ans Layout des Dermatologie-Buchs erinnern kann. Ich brauche genauso viele Erklärungen wie andere Patient*innen, nur dass diese mehr Fachwörter enthalten dürfen.
Sollte ich verschweigen, dass ich ärztliche Kollegin bin, um die gleiche Behandlung zu bekommen wie alle anderen? Aber ich will Bescheid wissen, wenn meinen Arbeit nach anderen Standards bewertet wird als sonst: In der Kinderrettungsstelle stellte eine Mutter sich als Kinderärztin vor, sie habe den gebrochenen Arm ihres Sohnes bereits diagnostiziert und brauche nur ein Röntgenbild. Diese Direktheit ersparte mir einiges an Peinlichkeit. Meinem Hautarzt geht es ähnlich – in meiner Kartei steht in rot Ärztin und gut informiert. Deshalb bekam ich beim letzten Hautkrebsscreening Sonnencremepröbchen geschenkt – wohl der eindeutigste Vorteil dieser Konstellation.
Wenn die Ärzt*in sich nicht auf eine kollegiale Ebene begibt, kann es unangenehm werden. Mein Highlight war ein Orthopäde, der mein Wissen aus der Uni für Quatsch erklärte. Dabei ging es nicht um umstrittene Details, sondern um die Grundlagen der Untersuchung: Ich zog beide Schuhe aus, damit er meine Füße miteinander vergleichen konnte. So hatte ich es im ersten Semester gelernt. Aber er war unter solchem Zeitdruck, dass ihm die kranke Achillessehne reichte, um nach flüchtigem Abtasten zum Schluss zu kommen, dass er nichts für mich tun könne.
Manchmal kann ich medizinische Entscheidungen nicht nachvollziehen oder hätte sie anders getroffen. Andererseits: Weiß ich wirklich so viel? Verwechsle ich einen anderen Stil mit einem Fehler? Warum habe ich die Ärzt*in überhaupt konsultiert, wenn ich glaube, es besser zu wissen?
Einer der größten Nachteile hängt hiermit zusammen: Viele Ärzt*innen behandeln sich tatsächlich selbst. Doch gerade bei Krankheitsbildern, die wir nicht regelmäßig sehen, ist das ein selbstbewusster Trugschluss. Als Kardiologin kann ich einen einfachen Fußpilz behandeln, doch wenn die Salbe nicht anschlägt, sollte ich eine Hautärzt*in konsultieren, statt zu glauben, dass meine ärztliche Überheblichkeit den Pilz schon vertreiben wird.
Wir überweisen ständig Patient*innen an Kolleg*innen anderer Fachgebiete, doch für unsere eigenen Körper gelten andere Regeln. Stattdessen sollten wir uns fragen, wie wir dieses Problem bei einer anderen Patient*in angehen würden und ob wir dafür überhaupt qualifiziert sind.