Ich würde eher ohne Fahrkarte als ohne Buch in die U-Bahn steigen. Manchmal staunen meine Mitreisenden, dass überhaupt noch Bücher! aus Papier! Gelesen werden! Andere fragen mich, was ich lese, und erzählen mir von ihren Büchern. So wie an einem Samstag im September. Und natürlich liebe ich Gespräche über Bücher! Auch mit Fremden in der U-Bahn! Sich gegenseitig Bücher empfehlen ist toll! Auch mit Fremden in der U-Bahn! Sogar mit fremden Männern in der U-Bahn! Allerdings soll es dabei bitte bleiben, ich möchte mich nicht treffen, um “über Bücher zu reden.” Danke, ich bin in zwei Buchclubs.
Vor allem will ich das nicht, wenn der Fragende deutlich älter ist als ich (ca. 15++ Jahre), aber nicht so alt, dass ausgeschlossen ist, dass er mit “über Bücher reden” etwas ganz anderes meint. Vor allem weil mein Ausschnitt ausgerechnet an diesem Samstag so tief war.
Natürlich sind wir feministisch gesehen mittlerweile weit genug um zu wissen, dass Männer für ihr Verhalten selbst verantwortlich sind, egal was ich anhabe. Und trotzdem: Würde ich glauben, dass er wirklich nur über Bücher reden wollte, wenn ich ein anderes T-Shirt getragen hätte? Aber auch dann hätte ich die Einladung nicht gewollt.
Und natürlich ich habe gemerkt, wie beeindruckt er war, dass ich ein französisches Buch lese. Dass ich mit einer Freundin in einem Buchladen verabredet war – für einen kurzen Moment war ich sein Bücher Dream Girl. Aber nur weil etwas als Kompliment interpretiert werden kann, und/oder tatsächlich so gemeint ist, heißt das noch lange nicht, dass die Angesprochene es auch primär als solches interpretieren wird. Außerdem weiß ich selbst wie cool ich bin, dafür brauche ich keine Männer.
Dies ist einer dieser Post-#metoo Momente, wo Männer aufschreien: “WAS? Dürfen wir junge Frauen in der U-Bahn nicht mehr fragen, ob sie auch außerhalb der U-Bahn mit uns über Bücher reden wollen???!!!”
Nein, liebe Männer, dürft ihr nicht. Denn so macht ihr aus einer netten Interaktion – das Gespräch an sich ist nicht das Problem, sondern die Einladung, es fortzusetzen – eine unangenehme. Jetzt muss ich euch eine Abfuhr erteilen, obwohl Hollywood-Gehirnwäsche mir sowas mein Leben lang als meet-cute verkauft hat, obwohl ich dazu sozialisiert wurde, immer schön nett zu Männern zu sein. Weswegen ich eure Nummer einspeichere und behaupte, ich würde darüber “nachdenken.” Und mich dann das ganze Wochenende über mich selbst ärgere.
Natürlich passieren täglich schlimmere Dinge, auch mir sind schlimmere Dinge passiert. Aber dass man Joggerinnen nicht hinterherrufen soll, dass man sie “ficken” möchte, müssen wir nicht diskutieren. Nein, #metoo hat euch auf Grauzonen vorbereitet. Ihr habt das nächste Level erreicht und könnt jetzt verstehen, warum sogar nett gemeinte Einladungen ein Problem sein können. (Wenn es doch um „Bücher“ statt Bücher ging: Geht gar nicht, wisst ihr.)
Von #metoo solltet ihr gelernt haben nachzudenken, bevor ihr jeden. Verdammten. Wunsch. Einfach. Herausplappert. Stattdessen bitte den Empathie-Knopf einschalten (ganz oben rechts im Gehirn neben dem Müll-rausbringen-Knopf) und nachdenken: Was ist das für eine Situation? Fühlt die andere Person sich wohl? Gibt es Machtgefälle, zum Beispiel Alter??? Möchten andere sich vielleicht ohne Einladungen zum Bücher-Bequatschen durch den öffentlichen Raum bewegen, egal wie unsexuell diese gemeint sind?
Liebe Bücherwürmer, die Frage ist nicht, wie die Einladung gemeint ist, sondern wie sie verstanden wird. Wenn eure Impulse als sexuell oder übergriffig verstanden werden könnten, müsst ihr sie ab jetzt (spätestens! Eigentlich schon immer!) unterdrücken. Auch wenn ihr so die Bücherdiskussion eures Lebens verpasst.
Wenn ihr mehr werdet, erhöht ihr die Chance, dass aus fast jedem Sonntag tatsächlich jeder wird. Bitte schickt diesen Text an Menschen, die sich dafür interessieren könnten.