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Deine Psychiater*in empfiehlt dir eine Psychotherapie. Sie gibt dir eine Überweisung dafür und die Telefonnummern von Ausbildungsinstituten – bei einer Therapeut*in in Ausbildung sei es oft einfacher, einen Therapieplatz zu bekommen.
Lass die Zettel ein paar Wochen auf deinem Schreibtisch reifen.
Ruf bei Ausbildungsinstitut A an – in der einen Stunde pro Woche, in der sie erreichbar sind. Aufnahmestopp.
Ruf an dem Tag, an dem sie wieder aufnehmen, erneut an. Besetzt.
Ruf eine Woche später an. Aufnahmestopp.
Bekomme den Hinweis, dass du auch auf den Anrufbeantworter sprechen kannst.
Sprich am Tag, an dem sie wieder aufnehmen, auf den Anrufbeantworter.
Bekomme einen Rückruf und einen Termin zum Erstgespräch zwei Monate später.
Bestätige eine Woche vor dem Erstgespräch über den Anrufbeantworter, dass du weiterhin Bedarf hast.
Das Erstgespräch dauert eine Viertelstunde. Dein Fall sei für eine Ausbildungskanditat*in „nicht geeignet.“ Sie werden zwar versuchen, dir eine andere Therapeut*in zu vermitteln, aber du sollst unbedingt selbst weiter suchen, zum Beispiel über die kassenärztliche Vereinigung (KV) oder deine Krankenkasse.
Lass den Zettel mit diesen Informationen ein paar Wochen auf deinem Schreibtisch reifen.
Dein Handy klingelt: Sie haben eine Therapeutin für dich gefunden.
Sprich auf den Anrufbeantworter der Therapeutin.
Warte eine Woche auf ihren Rückruf.
Stelle dann fest, dass die Terminfindung mit deinen Arbeitszeiten unmöglich ist.
Schreibe „Therapieplatz finden“ auf deine To-Do-Liste. Vielleicht gehst du es ernsthafter an, wenn du diese Aufgabe nicht nur im Kopf mit dir herumträgst, sondern sie offiziell erledigen musst?
Sprich bei Ausbildungsinstitut A auf den Anrufbeantworter, ob sie dich bitte wieder auf die Vermittlungsliste setzen könnten.
Erhalte keine Antwort.
Lass die To-Do-Liste ein paar Monate auf deinem Schreibtisch reifen.
Erhalte von deiner Psychiater*in die Empfehlung für weitere Ausbildungsinstitute.
Institut B vergibt Termine nur über Doctolib, wo du täglich nachguckst. Es tauchen nie freie Termine auf.
Institut C ist an drei Tagen im Monat für jeweils 30 Minuten erreichbar. Als nicht mehr besetzt ist, informiert der Anrufbeantworter dich darüber, dass alle Termine bereits vergeben sind.
Bei Institut D bekommst du nach mehreren Versuchen einen Termin in vier Wochen.
Kontaktiere deine Krankenkasse mit der Bitte, dir bei der Suche zu helfen.
Erhalte eine E-Mail mit dem Hinweis, das eine direkte Vermittlung nicht möglich sei, aber hier 10 Therapeut*innen in deiner Nähe.
Geh auf die Website der KV und lass dir alle Psychotherapeut*innen im Umkreis von vier Kilometern ausspucken.
Speichere die Liste als PDF.
Schreibe 15 E-Mails und rufe 16 Therapeut*innen an. Bei ca. der Hälfte darfst du auf den Anrufbeantworter sprechen, die anderen sagen dir nur, in welcher Stunde der Woche sie erreichbar sind.
Schreibe diese Stunden in deinen Terminkalender.
Zwei E-Mails bouncen, weil die KV die falschen Mail-Adressen hat.
Bekomme am gleichen Abend zwei Rückrufe. Therapeut 1 bietet dir einen Termin in einer Woche an. Therapeutin 2 will dir nur mitteilen, dass sie erst im Herbst Kapazitäten hat. Als sich herausstellt, dass du Ärztin bist, findet sie einen Termin in zwei Wochen.
Sorge dich, dass du zu viele Termine bekommen könntest.
Erhalte in den nächsten Tagen einen weiteren Termin und drei Absagen.
Die anderen 23 Therapeut*innen sagen dir ab, indem sie deine Nachrichten ignorieren.
Schreibe eine Woche vor dem Erstgespräch eine Mail an Institut D, dass du den Termin wahrnehmen wirst.
Therapeut 1 ist in echt genauso sympathisch wie am Telefon, aber seine Fragen sind dir zu psychoanalytisch („Wie ist Ihre Beziehung zu Ihrem Vater?“ „Haben Sie wiederkehrende Träume?“). Vereinbare sicherheitshalber trotzdem einen Folgetermin.
Therapeut 3 sieht in deiner FFP2-Maske ein Zeichen für Angst, bringt dich zum Weinen und seine Wahrnehmung deines Lebens steht deiner diametral entgegen. Er weiß nicht, ob du für eine tiefenpsychologische Therapie bereit bist und empfiehlt dir zwei Verhaltenstherapeut*innen. Die Sitzung dauert fast 90 statt der üblichen 50 Minuten.
Kontaktiere am nächsten Tag die Verhaltenstherapeut*innen. Eine Absage kommt per Mail, die andere per Schweigen.
Das Erstgespräch in Institut D dauert 25 Minuten. Auch hier wirst du nicht an eine Ausbildungskanditat*in vermittelt, sondern bekommst die Telefonnummer einer Therapeutin.
Sprich der Therapeutin auf den Anrufbeantworter.
Bekomme am nächsten Tag einen Rückruf ihrer Kollegin (Therapeutin 4), die neu in der Praxis anfängt und deshalb Therapieplätze hat. Verabrede einen Termin in einer Woche.
Therapeutin 2 ist schockiert, weil deine Psychiater*in dir ein Medikament verordnet und glaubt, dass du aufgrund fehlender innerer Räume nicht bereit für eine Therapie bist. Wie du diese Räume finden sollst, sagt sie dir nicht, weil du ihrer Meinung nach zu viel nach Lösungen von außen suchst.
Schreibe Tagebuch. Vielleicht die realistischste Therapie?
Beschließe, dass du die Therapie lieber bei einer Frau machen möchtest.
Suche innere Räume.
Therapeutin 4 findet, dass wer vier Erstgespräche macht, bereit für eine Psychotherapie sei. In diesem Therapieraum gibt es – im Gegensatz zu den drei anderen – nicht die Möglichkeit, im Liegen psychoanalysiert zu werden. Das ist dir ganz recht.
Sage Therapeut 1 per Mail ab. Du wirst keine Antwort bekommen.
Verlege die dritte und vierte Sitzung bei Therapeutin 4 nach online, weil du zum zweiten Mal Covid hast.
Unterschreibe nach der fünften Sitzung den Antrag für eine Kurzzeittherapie (12 Sitzungen).
Vier Wochen später kommt ein Brief der Krankenkasse, der diese genehmigt.
Herzlichen Glückwunsch: Nach elf Monaten hast du einen Therapieplatz gefunden!
Auf etwas ernstere Weise habe ich vor zwei Jahren über das Thema Gesundheitsarbeit geschrieben:
Achtung neue Rubrik!
Andere gute Newsletter als Lesestoff zur Überbrückung bis zur nächsten Ausgabe oder falls eure Kaffeetasse nach diesem Text noch nicht leer ist:
Gedanken zum Frühjahrsputz: