Das letzte Relikt aus meiner Zeit als Modebloggerin (don’t ask) liegt im Sterben: Der Blog Cupcakes and Cashmere. Das ist längst auch ein Onlineshop und vermutlich ist das Unternehmen wohlauf. Doch die Redakteurin Leslie Stephens ist nicht mehr dabei, wodurch der Blog deutlich uninteressanter wird. Statt Schmuck und Duftkerzen zu verkaufen, geht sie zur Grad School, um Therapeutin zu werden und hat einen Newsletter gestartet. Morning Person ist deutlich professioneller und unpolitischer als dieser Newsletter und kostet fünf Dollar im Monat. (Dieser obskur-triviale Internetklatsch führt zu Erkenntnissen über Kapitalismus und die Welt, versprochen!)
Sie nutzt die Reichweite, für die sie mit Privatsphäre bezahlt hat – aus Blogposts weiß ich, dass ihr Hund Toast heißt und wie teuer das Top war, in dem sie geheiratet hat. Jetzt müssen wir zahlen, um zu erfahren, wie ihr Studiengang heißt. Sie muss nicht mehr schreiben, ein Unternehmen hätte eher ein Produkt „generously gifted“, obwohl 2021 alle wissen, dass Werbung keine Großzügigkeit ist. So kann sie ihr Studium auf ihre Weise finanzieren (sie hat 20.000 Follower bei Insta, Spon Con wäre eine Option). Doch durch die direkte Finanzierung über Leser*innen muss sie uns keinen Scheiß andrehen. (Dass nicht alle sechzig Dollar im Jahr dafür bezahlen können, ist ein anderes Thema. Andererseits macht sie in den USA einen Master, sie braucht Geld.) Das ist eine Form von Emanzipation, auch wenn es nicht antikapitalistisch „gemeint“ ist.
Denke ich absurd viel über die beruflichen Entscheidungen einer Fremden nach? Absolut. Sagt uns das etwas über die Welt, in der wir leben? Auch absolut:
Lektion 1: Werbung ist eine Falle. Als Finanzierungsmodell für redaktionelle Arbeit bringt sie – wie längst bekannt – Interessenkonflikte und den Verlust von Unabhängigkeit. Zusätzlich scheint sie den Beschäftigten dieser anzeigenfinanzierten Medienunternehmen den Spaß an ihrer Arbeit zu nehmen: Sie schränkt die Kreativität ein und macht Leser*innen misstrauisch. Die Vermarktung unnötiger Konsumgüter schlägt in Zeiten von Klimakrise und Überproduktion aufs Gewissen. (Deswegen werdet ihr hier niemals Werbung sehen: Kauft nichts, was ihr nicht braucht. Definiert „brauchen“ so eng wie möglich. Nein, noch enger.)
Lektion 2: Ein Studium, das zu einem klar definierten, überdurchschnittlich bezahlten Beruf wie Therapeutin oder Ärztin führt, ist ein Privileg. Sich für so ein Studium entscheiden zu können und einen Studienplatz bekommen ebenso. Als Therapeutin oder Ärztin müssen Leslie und ich nicht hoffen, dass unsere Inhalte sich in Tiktoks übersetzen lassen. Die Krise der Medien und des Journalismus können und sollten wir aus politischen Gründen für ein Problem halten, aber sie beeinflusst unsere Kontostände nicht.
Lektion 3: Im Kapitalismus ist auch das kleinere Übel oft sehr groß: Leslie verkauft mit ihrem Newsletter ein Produkt, das sie selbst entwickelt und kontrolliert, was eine Verbesserung gegenüber Cupcakes and Cashmere ist. Doch sie muss das tun, um ihr Studium zu finanzieren. Möglicherweise ist das ein Best-Case-Szenario – aber wie schlecht ist dieses Szenario bitte?! Das echte Best-Case-Szenario sind kostenlose Studiengänge und BAföG-Äquivalent für alle, weltweit. Doch als ich zu diesem Schluss kam, arbeitete ich bereits mehrere Stunden an diesem Text. Was zeigt, dass wir alles was „eben so ist“ immer wieder hinterfragen müssen. Denn natürlich könnte die Welt besser sein.
Lektion 4: Neid. Ich schwanke zwischen Neid und der Unsicherheit, ob ich tatsächlich neidisch bin. Will ich wirklich, dass Hunderte oder Tausende diesen Newsletter lesen? Dass sie wissen, wie eitel ich bin, wie anstrengend das Leben mit meiner Achillessehne ist? Dass sie erwarten, dass ich wirklich fast jeden Sonntag einen Text abliefere, weil das bei drei Ausgaben im Monat immerhin nur 1,67€ pro Text wären? Andererseits wäre es extrem gut für mein Ego, wenn dieser Newsletter mal viral ginge. Schreiben ist viel Arbeit, Geld wäre nett, auch wenn ich es nicht für Studiengebühren brauche. Gleichzeitig weiß ich, dass unsere Situationen überhaupt nicht vergleichbar ist, dass Leslie viel besser für ihren Newsletter qualifiziert ist als ich für meinen. Ich gehe (ohne Daten!) davon aus, dass sie sehr viele Abonnent*innen hat, was mich frustriert, weil ich gern mehr hätte (nicht Tausende, aber mehr). Vergleiche mit Fremden im Internet garantieren schlechte Laune und trotzdem kann mein Gehirn es nicht lassen. Ja, das ist Neid. Aber Neid ist eine Botschaft: Dass Leslies Newsletter dieses Gefühl verursacht, zeigt mir, dass ich meinen eigenen Newsletter professionalisieren und seine Reichweite erhöhen sollte (bitte teilen:-) Es gibt eine neue Willkommens-Mail für Abonnent*innen!). Gleichzeitig ist Leslies Newsletter der Beweis, dass solche Newsletter möglich ist – es sich also lohnen könnte, hier mehr Arbeit reinzustecken.
Seht ihr, wenn wir Klatsch über Unbekannte auf struktureller Ebene analysieren, wird es erst richtig interessant. Was ist eure Lieblingslektion aus (scheinbar) trivialem Klatsch? (Es gibt jetzt eine Kommentarfunktion!)
PS: Zwei interessante Posts zum Thema Neid und Influencertum.
Ich musste neulich feststellen, dass aus Brigitte Young Miss, elle girl, Missy Magazine, blonde, Glamour, Vogue oder auch OC, Gilmore Girls (halt mehr oder weniger einfache Unterhaltung) blabla eben Insta, TikTok & Newsletter geworden sind.. man Menschen folgt, bei (größtenteils) unwichtigen Momenten und die dafür halt (auch noch) Geld verdienen.. Meine Lektion: macht Spaß zum Berieseln lassen, aber man sollte sich nicht zu viele Gedanken machen darüber. + ich mag deine Texte gerade dann, wenn sie politische/r sind … und jede*r fängt mal mit kleiner Reichweite an?